Interview

Von Claudia Leu am 07.06.2021 | 6 Minuten Lesezeit

Welche Rolle spielt psychologische Sicherheit in der Arbeitswelt von heute und morgen? Das wollten wir ganz genau wissen und haben deshalb mit Ina Goller gesprochen. Ina ist Professorin für Innovationsmanagement an der Berner Fachhochschule und arbeitet seit über 20 Jahren im nationalen und internationalen Coaching-, Trainings- und Beratungsbereich.

Wie hat sich aus deiner Sicht die Art, wie wir in Unternehmen zusammenarbeiten, in den letzten 10 Jahren verändert?

Die Frage ist: hat sich wirklich etwas verändert bis vor Covid-19? Für Innovationen und Veränderungen braucht es immer einen Treiber. Technologie kann ein solcher Treiber sein. Mit der Pandemie war plötzlich die Dringlichkeit da, sich mit der Technologie auseinanderzusetzen. Man musste neue Wege der Zusammenarbeit suchen. Das führte dazu, dass im letzten Jahr mehr passiert ist, als in den neun Jahren zuvor.

Ist denn in den 9 Jahren vor der Pandemie nichts voran gegangen?

Doch, schon. Während dieser Zeit ist die Technologie gereift (bspw. Slack, Trello usw.), welche die Grundlage für die Umstellung in der Pandemie gelegt hat. Doch im letzten Jahr haben nun alle in der Dienstleistungs-und Büroarbeit einen gemeinsamen Schritt gemacht. Das führt zu ähnlichen Notwendigkeiten und Zwängen, aber eben auch ähnlichen, oft positiven Erfahrungen mit Neuem. So können sich Neuerungen schneller durchsetzen.

Abgesehen von der Technologie, welche Veränderungen beobachtest du sonst noch in der Arbeitswelt?

Es gibt prägende gesellschaftliche Veränderungen, die zum Beispiel durch das Nachrücken der nächsten Generationen ins Arbeitsleben ausgelöst werden. Sie haben eigene und neue Werthaltungen, die sich doch stark von denen der Nachkriegsgeneration abheben. Anstatt mit Mangelerlebnissen und grossen Konflikten aufzuwachsen, gibt es nun Wohlstand, Sicherheit und Frieden. Die Auswahl an Möglichkeiten ist riesig, die Technologie überall verfügbar. Das bedingt, dass sich diese Generation auch anders entwickelt. Das sieht man z. B. konkret am Vaterschaftsurlaub. Dieser wird nicht mehr nur von ein paar Vordenkern eingefordert, sondern gehört schon fast zum guten Ton.

Warum konnten sich frühere Trends wie Human Centered Design, Agilität, Holokratie etc. nicht flächendeckender durchsetzen?

Für echte Veränderungen brauchst du eine Masse. Der Apple Newton war eine Idee, die viele Funktionen des iPhone schon sehr früh vereint hat. Jedoch konnte man damit noch nicht telefonieren. Es war ein Gadget für Nerds und schliesslich ein totaler Flop. Das iPhone hatte dann ein paar Funktionen mehr, sah deutlich schicker aus und wurde ein Hit. Das hat damit zu tun, dass die Technologie, aber auch die Bedürfnisse der Menschen sich verändert haben. Diese kleinen, graduellen Veränderungen hin zur Massentauglichkeit haben am Schluss dazu geführt, dass dem iPhone ein kometenhafter Aufstieg gelang.

Das gleiche beobachtet man auch in der Arbeitswelt. Es gab kleine Schritte von einzelnen Leuten. Zum Beispiel die Entstehung von Holokratie. Bereits in den 70ern tauchte das Thema im Rahmen von teilautonomer Gruppenarbeit auf. Allerdings war es damals noch nicht salonfähig und massentauglich.

Der jetzige Wandel war stark von äusserem Druck durch die Pandemie geprägt. Wie nachhaltig sind diese Veränderungen, wenn Covid-19 überstanden ist?

Die aktuelle Entwicklung ist sicher unter grossem Zwang passiert. Daraus resultierend sehen sich viele Unternehmen in einer Art «Überwinterungsphase» und möchten so schnell wie möglich zum Status quo zurückkehren. Einige Medien zeichnen zudem ein sehr negatives Bild der aktuellen Arbeitssituation im home office. Die kritische Frage wird also sein, wie viele positive Faktoren Personen und Organisationen der Situation mittel- und langfristig abgewinnen können? Haben sie Vorteile erlebt, sich Methoden und Arbeitsweisen angeeignet, die sie beibehalten wollen?

«Viele Unternehmen sehen sich in einer Art «Überwinterungsphase» und möchten so schnell wie möglich zum Status quo zurückkehren»

Was denkst du?

Fragt man in die Runde, gibt es oft Kritik zur aktuellen Situation. Hört man aber genauer hin und fragt direkt nach Vorteilen, dann geben zwei Drittel der Leute an, dass sie durchaus positive Erlebnisse haben, beispielsweise keine Zeit mit dem Arbeitsweg verlieren und weniger Stress. Meine Studierenden sagen sogar, dass einzelne Unterrichtslektionen deutlich besser sind.

Viele Betriebe werden jetzt Umstellungen vornehmen. Vor allem die, die Positives erkennen können und wollen. Es wird meiner Meinung nach letztendlich die Mehrheit sein. Man darf sich aber nicht täuschen, wenn man die Schweiz betrachtet. Es gibt unglaublich viele Unternehmen, die nie Homeoffice hatten. Weil es einfach nicht geht. Beispielsweise die Supermärkte oder der Einzelhandel. Die haben diesbezüglich keine Erfahrungen gemacht. Wenn wir von der neuen Arbeitswelt sprechen, dann ist das nur ein ganz, ganz kleiner Bereich der Schweizer Wirtschaft.

Welche Rolle werden psychologische Sicherheit und verwandte Themen deiner Meinung nach in Zukunft spielen?

Entwicklungen verlaufen oft in Pendelbewegungen. Der Fokus liegt zur Zeit auf Themen wie z. B. Work-Life-Balance oder gesunde Arbeitsumgebung. Hier geht es im Grundsatz um das Spannungsfeld zwischen Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit. Wird erkannt, wie wichtig der Mensch als Zentrum ist, gibt es viele Initiativen zu Steigerung der Zufriedenheit. An einem gewissen Punkt kippt das Gefüge und man konzentriert sich wieder primär auf Zahlen und Fakten. Im Sinne von: «Wir dürfen nicht zu nett werden, sonst sind wir nicht mehr wirtschaftlich. Leistungsorientierung gibt es dann auch nicht mehr». Letztendlich hat die bisherige Entwicklung gezeigt, dass Themen wie Psychologische Sicherheit aber mehr an Gewicht bekommen und wichtiger werden.

Wie gehst du mit Leuten um, für die psychologische Sicherheit zu esoterisch ist?

Ich würde ihnen die Frage stellen, wie sie zu dieser Meinung gelangt sind? Man kann sowas ja nur sagen, wenn man persönliche Erfahrungen damit hat. Kommt die Haltung eher daher, dass die Person das Gefühl hat, dass man ihr zu nahe kommt und sie manipulieren will? Dann geht es darum aufzuzeigen, dass man über mit psychologischer Sicherheit Transparenz herstellen kann. Transparenz bedeutet, dass weniger Manipulationsspielraum besteht. Das ist sogar eine grosse Chance. Das wäre die rationale, sachliche Antwort. Ich glaube, dass es darum geht, Menschen zu verstehen, und aus diesem Verständnis heraus Lernen zu ermöglichen. Und mit dieser Grundhaltung hole ich die meisten Leute ab.

«Es geht darum Menschen zu verstehen, um Lernen zu ermöglichen.»

Wie verankert man kulturelle Initiativen im ganzen Unternehmen?

Ein Vorgehen ist, dass ich Kultur-Ambassadoren ausbilde. Sogenannte Change Agents, die im Unternehmen Massnahmen und Initiativen weitertragen können. Diese erhalten meist eine Grundausbildung in Mindset und Methoden zur kultureller Transformation. Einmal hatte ich eine Teilnehmerin, die meinte: «Was wir hier machen, machen wir in der freiwilligen Feuerwehr auch. Wir versuchen hier ein gutes Team aufzubauen, wir arbeiten an unserer Kommunikation, wir entwickeln ein Verständnis füreinander, wir lernen ganz viel, damit wir die Arbeitsprozesse im Notfall aus dem Effeff beherrschen. Wir bilden uns fachlich fort, aber auch als Team. Und in der Krise geht es nicht mehr um Basisdemokratie. Da wissen wir, wer ist der beste, der die Kommandos gibt. Und alle wissen, wie man ebendiese Kommandos ausführt. Im Gegenzug wird ein Leader, der nur schreit und von niemandem verstanden wird, nie einen Brand löschen.”

«Ein Leader, der nur schreit und von niemandem verstanden wird, wird nie einen Brand löschen.»

Diese Teilnehmerin hat auf den Punkt gebracht, wie echtes Krisenmanagement funktioniert. Es funktioniert nur, wenn alle ihre Rollen ausüben. Wenn sie sich bewusst sind, was sie tun. Wenn sie es freiwillig tun und es tun können. Mit dieser Ausgangslage, dieser Mannschaft ist jeder Brand zu löschen. Wehe aber, wenn dem nicht so ist.

Ina Goller

Ina Goller

Ina ist Professorin für Innovationsmanagement an der Berner Fachhochschule und arbeitet seit über 20 Jahren im nationalen und internationalen Coaching-, Trainings- und Beratungsbereich. Ihre Kernthemen sind Change, Teamarbeit und Führung, mit besonderem Fokus auf der Entwicklung von Skills im Bereich Kreativität und Innovation.

Was ist psychologische Sicherheit

Amy Edmondson (1999) definiert psychologische Sicherheit als «eine von den Mitgliedern eines Teams geteilte Überzeugung, dass es im Team sicher ist, zwischenmenschliche Risiken einzugehen.»

Psychologische Sicherheit ist entscheidend für die Teamleistung. Dieser Artikel zeigt dir, warum das so ist und wie du die psychologische Sicherheit steigern kannst.

Literatur

Edmondson, A. (1999). Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams. Administrative Science Quarterly, 44(2), 350-383.

Illustration mit einem Brief im offenen Couvert

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