Von Nils Reisen am 11.02.2020 | 6 Minuten Lesezeit
Heute ist National Inventor’s Day in den USA. Weil es noch eine Weile bis zum hiesigen Erfindertag am 9. November dauert, nutzen wir die Gelegenheit und erzählen schon heute etwas zu einer Erfindung aus der Schweiz.
Disruptive Erfindungen kommen oft von aussen. So wurde Uber nicht von einem Taxiunternehmen, Airbnb nicht von der Hotelindustrie erfunden. Und auch bei unserer jetzigen Heimat Creaholic entstehen seit über 30 Jahren Innovationen basierend auf diesem Prinzip: «Wir sind ein Team von Unternehmern, von denen jeder einzelne über viel Wissen in einigen Bereichen und viel mehr Unwissen in anderen Bereichen verfügt. Wir wissen, dass Erfindungen beides erfordern.»
Ähnlich war es auch bei Pulse, unserer innovativen Mitarbeiterbefragung. Pulse ist radikal anders: Die Rückmeldungen der Mitarbeiter sind im Team offen und Verbesserungen werden bottom-up statt top-down umgesetzt. Statt ausschliesslich Feedback zur aktuellen Arbeitssituation zu geben und auf Besserung zu hoffen, können bei Pulse alle im Unternehmen eigenverantwortlich ihre Zusammenarbeit verbessern und ihr Arbeitsumfeld gestalten.
Die Idee für Pulse entstand in der Customer-Experience-Abteilung
Der Grundstein für Pulse wurde bei Swisscom* gelegt. Inspiriert vom Silicon Valley und ergänzt durch unsere eigenen Erfahrungen hatten wir über die letzten zehn Jahre bei Swisscom eine Innovationskultur aufgebaut. Diese hatte zum Ziel, die Firma von innen heraus zu verändern und voranzubringen. Mit unserem Team «Human Centered Design» (HCD) haben wir Strategien, Angebote, Methoden, Kennzahlen, Tools und Workshops entwickelt, die Swisscom und mittlerweile zahlreiche weitere Unternehmen dabei unterstützen, innovativ und kundenzentriert zu arbeiten. HCD besteht aus Produktdesignern, Marktforschern und dem einen oder anderen Psychologen. Interessanterweise – und wichtig in diesem Kontext – sind kaum Leute mit HR-Hintergrund dabei.
Auf das Thema Mitarbeiterbefragungen sind wir nur per Zufall gestossen
Eines der Projekte, die von HCD umgesetzt wurden, war der Customer Centricity Score (CCScore), ein empirisch hergeleiteter KPI, der die Kundenorientierung in der gesamten Firma anhand von 15 Faktoren misst. Mit dem CCScore können Firmen ihren Weg zum kundenzentrierten Unternehmen systematisch gestalten und kontinuierlich überprüfen.
Der CCScore wird intern in Form einer Mitarbeiterumfrage erhoben. Bei der Erarbeitung des CCScore fiel uns auf, dass die «eigentliche» Mitarbeiterumfrage – ein seit zehn Jahren eingesetzter Koloss mit 70 Fragen – einiges an Frust verursachte. Viele Fragen, viel Hoffnung, wenig Wirkung. Warum das so war, haben wir hier beschrieben.
So viel Frust und Verschwendung schien uns nicht angebracht
Wir glaubten fest daran, dass Feedback ein wertvolles Instrument ist, um die eigene Arbeit, Zusammenarbeit und Rahmenbedingungen zu verbessern. Und wir waren überzeugt, dass alle im Unternehmen einen guten Job machen wollen, sie dabei aber mit gewissen oft individuell verschiedenen und sich ständig ändernden Barrieren zu kämpfen haben. Diese können häufig einfach überwunden werden, aber nicht von einer einzelnen Person, sondern gemeinsam im Team. Ganz offensichtlich konnte die bisherige Mitarbeiterbefragung aber nicht dazu beitragen, diese Hürden zu beseitigen.
Mit dieser Erkenntnis konfrontierten wir den HR-Chef. Nach anfänglichen Bedenken hatten wir grünes Licht und konnten uns intensiv Gedanken machen, wie denn eine bessere Lösung aussehen könnte. Und nicht nur das: es gab zu dem Zeitpunkt bereits eine Vielzahl von Befragungen zu unterschiedlichen Themen und an verschiedenen Orten im Unternehmen. Diese sollten bei der Gelegenheit gleich konsolidiert werden.
Wir gingen die Aufgabe in der gleichen Gruppe an, die schon den Customer Centricity Score entwickelt und eingeführt hatte. Dieses interdisziplinäre Team bestand aus HCD-lern und HR-lern, unterstützt durch eine Vertreterin aus der Unternehmenskommunikation. Ich war mit von der Partie und konnte eine weitere wichtige Erfahrung einbringen. Ich hatte bei meinem vorherigen Arbeitgeber den Net Promoter Score als Kundenbefragung eingeführt und hatte so viel Wissen zu kurzen und wirksamen Befragungen erlangt. Es gibt zwar einige wichtige Unterschiede zwischen Kunden- und Mitarbeiterfeedback, die Grundidee ist aber gleich: Feedback ist ein Geschenk und kann allen im Unternehmen helfen, einen besseren Job zu machen. Vorausgesetzt, dass es zur richtigen Zeit und in der richtigen Form bei der richtigen Person landet.
Unsere Aufgabe: ein neues Setup für interne Messungen definieren, mit CCScore und Pulse als zentrale Elemente. Das Setup sowie einige erste Ideen für Pulse stellten wir in der Konzernleitung vor und bekamen grünes Licht für die Umsetzung. Nun hatten wir knapp ein Jahr Zeit, die Methode zu entwickeln, die Software zu schreiben und Pulse im gesamten Unternehmen einzuführen.
Für eine radikale Verbesserung brauchte es eine radikale Veränderung
Zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass wir einiges auf den Kopf stellen würden. Zu Beginn des Projekts gingen wir davon aus, dass eine moderne Umfrage (kurz und knackig) und eine zeitgemässe Software-Lösung (Echtzeit-Ergebnissen für alle) reichen würde. Je länger wir uns aber mit dem Thema beschäftigten, desto mehr wurde uns klar: Wenn wir wirklich eine neue Methode schaffen wollen, die funktioniert, müssen wir einige grundlegende Dinge ändern.
Wenn die Feedbacks der Mitarbeiter zu spürbaren Veränderungen führen sollen, müssen sie dort landen, wo sie am meisten Wirkung erzielen: in den Teams. Denn diese wissen oft am besten, was die Ergebnisse aus einer Befragung bedeuten und welche Massnahmen für sie möglich und sinnvoll sind. Und wenn sie mit den Ergebnissen arbeiten sollen, dann müssen sie die Kommentare der Kollegen sowohl einsehen als auch besprechen können. Sinnvoll geht das nur, wenn die Feedbacks im Team nicht anonym sind.
Nachdem wir dies realisiert hatten, mussten wir «nur» noch unsere Stakeholder überzeugen. Management, HR und die Personalvertretung hatten grossen Respekt vor der Abkehr von der gewohnten Anonymität. Sie befürchteten, dass sich die Mitarbeiter entweder nicht mehr trauen, überhaupt Kommentare zu schreiben oder das Feedback dann gegen sie verwendet wird.
Wie wir das im Detail geschafft haben, lest ihr schon bald im nächsten Artikel. So viel vorne weg: neben einigen guten Argumenten für offenes und konstruktives Feedback lag der Erfolg vor allem in unserem Vorgehen begründet. Wir haben unsere Ideen so schnell wie möglich in Prototypen übersetzt und diese systematisch getestet. Insgesamt haben wir mit über 500 Mitarbeitern und 35 Teams verschiedene Varianten unserer Methode und unseres Software-Tools auf Herz und Nieren geprüft. Danach war uns, aber auch den Stakeholdern klar: Der neue Ansatz funktioniert und die Ängste waren unbegründet. Als wir dann im Oktober 2016 mit der ersten Umfrage starteten, gab es keine Überraschungen. Sie verlief erwartungsgemäss positiv und deckte sich eins zu eins mit den Erfahrungen aus den Piloten.
Mit fachfremder Naivität zur Idee und konsequentem Testing zum Endprodukt
Wenn man ein altes Problem auf eine radikal neue Art lösen möchte, hilft es, wenn zumindest einige der Problemlöser aus einem anderen Bereich kommen.* Ein grosser Teil unseres Teams kam nicht aus der Personalabteilung und hatte dadurch eine gewisse gesunde Naivität bei dem Thema. Heikle Aspekte wie z. B. die Anonymität solcher Befragungen waren hier viel weniger aufgeladen und konnten so auch einfacher hinterfragt werden. Und ganz wichtig: Wir haben uns nicht auf stundenlange Diskussionen eingelassen, sondern unsere Hypothesen konsequent getestet. Unser Ziel, unsere Überzeugungen und Prinzipien blieben durchweg konstant. Mit dem iterativen Ansatz konnten wir das Produkt schrittweise verbessern, bis es schliesslich funktionierte. Wenig überraschend unterschied es sich ziemlich deutlich von unserem ursprünglichen Konzept. Human-centered Design eben.
Habt ihr Feedback oder Fragen zum Artikel oder zu Pulse? Möchtet ihr über zukünftige Artikel informiert werden. Dann kontaktiert uns unter team@start-pulse.com.
*Swisscom ist das führende Telekommunikationsunternehmen in der Schweiz.